Seit der Zeit des “Corona Lockdowns”, die ich in meiner damaligen Wohnung in Prag verbracht hatte, sehe ich mir vermehrt Videos auf YouTube über Häuser, Wohnungen und Innenarchitektur an. Wenn ich manche Ideen in Gedanken auf meine eigene Umgebung zu übertragen versuche, fällt mir auf, dass die Designer in den Videos nicht viel Mühe mit Bücherregalen haben. Offenbar werden keine gewünscht oder es reicht eine Nische am Bett, ein Fach neben dem Sofa oder ein Brett in der Wand.
Für einen Fernseher dagegen gibt es oft einen bevorzugten Platz im Zentrum der Wohnung oder eine Projektionsfläche an der Wand, die zumindest diesen Kultgegenstand von der Notwendigkeit seiner ständigen materiellen Präsenz befreit. Ich erinnere mich an einen Bewohner, dem es reichte, Filme auf dem Laptop anzusehen. Mehr brauche auch ich nicht für Filme.
Auf einer Sprachlern-App habe ich nun auch ein “bookshelf” gefunden, mit einer vereinfachten Illustration dieser Vokabel. Ich habe es erst gar nicht als solches erkannt, obwohl natürlich vor allem Bücher darauf stehen. Ein Bücherbord wie dieses ist für mich extrem ineffizient. Um das Gewicht zu tragen, braucht es eine solide Halterung, die nicht aus der Wand bricht. Ein traditionelles Regal leitet diese Kräfte einfach in den Boden weiter.
Wenn ich online nach Bildern von Bücherregalen suche, die mehr als 20 oder 50 Bücher enthalten, so handelt es sich oft um Fotos von öffentlichen Bibliotheken oder Buchläden. Ein paar Regale in Privatwohnungen sind zu sehen, große, repräsentative Flächen in Wohnzimmern, unter einer Treppe, neben dem Bett. Es existiert natürlich, denn Bücher sind zumeist gut anzusehen und tragen erheblich zur Atmosphäre bei. Es kann sich um eine Bibliothek mit dem Charm der vergangenen Zeit handeln, um einen hellen, von Pflanzen dominierten Raum, um eine Nische wie aus einer Zauberwelt, oder um ein pragmatisches Regal, um Bücher für Arbeit, Hobby oder Studium griffbereit zu haben.
Aber ich, als Laie, habe nicht das Gefühl, wirklich viele Optionen und Ideen zu sehen zu bekommen. Innenarchitekten lösen offenbar andere Aufgaben und die Buchliebhaber stellen sicher auch gern die “rohe Masse” zur Schau. Oft ist es eine Form der Eitelkeit. Für viele bleibt immer das Modell der öffentlichen Bibliothek maßgebend. Man füllt die Regale, stellt allenfalls noch ein seltenes Souvenir in eine Lücke, eine Pflanze, und das war’s.
Diese Seltenheit von Innenraumdesign mit Bücherregalen entspricht der Erfahrung, dass sehr viele Menschen ohne Bücher leben oder nur eine Handvoll davon besitzen. Unter meinen Freunden und Verwandten ist dies aber anders, und hier dominiert Pragmatismus. Bücher in der Wohnung zu lagern ist relativ einfach, da es im Prinzip viele flach Quader sind, mit der eine rechteckige Geometrie angefüllt wird.
Aber warum ist die Welt der Innenarchitekten (in den Videos) so völlig verschieden von derjenigen der Leute, die Bücher besitzen? Viele Videos sind aus dem angelsächsischen Raum, aber auch dort gibt es Buchliebhaber. Oder bleibt nach dem Buchkauf einfach kein Geld mehr für die Architektin? Sind Gutverdiener immer Fernsehmenschen? Sind Buchregale einfach so schwierig zu integrieren? Oder sind diese Projekte, die große Mengen an Büchern zu integrieren vermögen, nicht so interessant, dass sie der Öffentlichkeit präsentiert werden?
Die Aufgabe, an der Präsenz vieler Bücher gestalterisch noch etwas zu verändern, ist sicher schwer, und ich selbst habe keine Lösung. Hier sind ein paar Gedanken dazu:
- Die Menge an Büchern fällt je nach Person sehr verschieden aus, von hunderten bis zehntausenden. Der Platzbedarf kann daher ganz erheblich sein. Oft steht das Problem im Vordergrund, mit dem vorhandenen Raum auszukommen. Die Gestaltung hat darum sehr eingeschränkte Freiheiten angesichts physischer Grenzen.
- Wer bereits eine bestimmte Menge Bücher hat, der beschafft sich zumeist auch weitere. Der Platzbedarf kann also noch wachsen.
- Gewöhnlich haben nicht alle Bücher die gleiche Bedeutung. Vielleicht möchte man die Bildbände ins Wohnzimmer stellen, die Romane ins Schlafzimmer und den Roman einer Rassistin hinter die Toilette.
- Für eine optimale Raumnutzung müsste man die Bücher nach Größe sortieren, aber das widerspricht oft der Sortierung nach Genre, Autor, Sprache oder inhaltlichen Kriterien. Ein längerer Buchrücken kann dazu führen, dass man das Fach vergrößern muss und viel Raum verschenkt, falls man nicht die Lücken vollstapelt, oder dass man woanders ein Spezialfach für große Formate hat, wo die Sortierung nicht mehr gilt.
- Regale können der Lagerung, der Darstellung und der Bereitstellung von Büchern dienen. Je nach Aufgabe variieren der Ort und die Ausführung. Das könnte die Arbeit für Innenarchitekten vereinfachen, indem man Regale mit reiner Lagerfunktion in Räume verlegt, die nicht besonders aussehen müssen.
- Das Aussehen von Büchern ist sehr dominant im Vergleich zum Regal. Die Frage ist, welche gestalterische Möglichkeiten es gibt und welche Möglichkeiten die Designerin hat. Farbe? Material? Licht? Anordnung? Integration in die Umgebung? Die Kombination mit anderen Dingen? Ist es notwendig, die Bücher zu kennen, um das Regal für sie zu entwerfen?
Nachtrag
Nur kurze Zeit später bin ich auf ein Video gestoßen, wo Bücher eine wichtige Rolle spielen: