Es ist extrem schwierig, etwas wie Budo einem Außenstehenden zu erklären. Erst indem man es selbst teilnehmend – also gebend und nehmend – erfährt, gewinnt man einen Schatz an Bedeutungen, die allein allerdings noch kaum in Sprache zu übersetzen sind. Vielleicht liegt es daran, dass Budo selbst eine Art von Sprache ist, die im Dialog oder Selbstgespräch mit Geist und Körper vollzogen, realisiert und erlernt wird.
Ich betrachte den Kern des Budo (so verstanden, wie es mich interessiert) nicht primär in einer Form der Selbstverteidigung, als etwas Esoterisches, oder als Freizeitbeschäftigung. Ich glaube nicht, dass man auf der Straße oft mit einem Katana angegriffen wird und dann zufällig gerade ein Jo in der Hand trägt. Der Begriff der Selbstfindung trifft es auch nicht völlig, denn er wird oft für Menschen verwendet, die in dem Gefühl leben, sich “verloren” zu haben und daher suchen müssen, und es schwingt da oft etwas Weltfremdes mit, weshalb ich ihn hier auch nur sehr bedingt verwenden würde. Wie also erklärt man einem Außenstehenden, worum es sich handelt, ohne zugleich Bilder von pubertierenden Kampfsportfans, vergeistigter Wellness-Reklame oder Fitnessstudios als Teil unserer Arbeitsethik und Körperkultur hervorzurufen?
Ohne Zweifel hat sich das Verständnis verändert und den modernen Zeiten und der westlichen Kultur angepasst. Heute geht niemand ins Training mit der Gewissheit, man könnte sein Leben im Zweikampf verlieren. Zudem ist der Transfer in die heutige Zeit bei uns im Westen völlig anders verlaufen als etwa in Japan, wo das Nebeneinander von Tradition und High-Tech oft in unseren Augen inkonsequent gehandhabt wird und wo ungewohnte gesellschaftliche Normen tief in das Leben im Dojo eingreifen.
Vielleicht würde ich es so beginnen, dass ich es als eine Form des Studiums beschreibe. Das Lernen ist einer der zentralen Aspekte im Budo. Aus ihm folgt das Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler, zwischen Fortgeschrittenem und Anfänger, der Weg, den man durchläuft, Zweifel und Bestätigung, Geduld und Selbsttäuschung, und die Freude am Erworbenen. Nicht zuletzt folgt daraus aber auch die Abgeschiedenheit, die Trennung zwischen Lernenden und Außenstehenden. Auch die Eigenheiten dieses Studiums sind wesentlich: teilnehmend in Körper und Geist, in langwierigen Wiederholungen, in unmerklichen Schritten, imitierend, experimentierend oder geleitet.
Die Vergangenheit von Budo, also etwa seine Nutzung zur Unterdrückung anderer oder zur eigenen Verteidigung, diente zwar als Motivation, ohne die dieses Konzept überhaupt nicht ausgetüftelt und mit immensem Aufwand über lange Zeit hinweg optimiert worden wäre, und man verdankt dieser schattenreichen Geschichte die Existenz dieser Kunst. Heutzutage spielt dieser Hintergrund aber kaum die selbe Rolle wie damals, sondern bildet lediglich eine von vielen oft widersprüchlichen Facetten. Wer heute seine Untergebenen in Schach halten oder sein Grundstück gegen den Nachbarn verteidigen will, der bedient sich anderer Mittel. Dennoch wird der Zweikampf als formalisiertes Grundmotiv beibehalten, das bis ins kleinste Detail hinein die Richtung vorgibt und die technische Ausgestaltung bestimmt.
Budo ist für mich nicht eine überlieferte Wahrheit, die in einer historischen Sternstunde gewonnen und formuliert wurde und die nun konserviert und möglichst unverändert durch die Zeiten transportiert werden muss. So wie es oral tradiertes Wissen gibt, so wird Budo in der Ausführung weiter gegeben. Das heißt, dass es sich immer schon mit den Ausführenden als Trägern des Wissens verändert hat, da nicht nur individuelle Eigenheiten mit einfließen, sondern auch unzählige andere Faktoren aus der Umgebung. Ich halte das nicht für eine Schwäche, sondern für eine elementare Überlebensstrategie. In Büchern Festgehaltenes ist oft nicht mehr verständlich oder übertragbar. Was sich aber gleichzeitig mit den Generationen der Überliefernden verändert, das trägt den Beweis seiner zeitgemäßen Verständlichkeit immer schon in sich. Solchermaßen ist Budo in der Lage zu wachsen.
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