In etwa zehn Minuten gelange ich von hier in den Park Stromovka, der nicht nur von seiner Anlage her sehr schön ist, sondern sich auch gut zum Wiederholen von Seltsamkeiten der Sorte Suburi, Kihon und Kata eignet, da man zumindest im abgelegeneren Bereich gut Platz findet. Es geht dabei nicht nur um einen Sicherheitsabstand zu Joggern und Spaziergängern, sondern ganz einfach darum, dass ich mich bei den Übungen konzentrieren muss. Also darf da kein kläffender Köter um einen herum springen, ich brauche Ruhe vor Frisbees, Fußbällen und Gaffern mit erschlaffter Kiefermuskulatur.
In dem Biergarten vor dem historischen Messegelände, dessen linker Flügel abgebrannt ist und nur noch aus einem länglichen Zelt besteht, wird ein seltsames Gemisch an Veranstaltungen geboten: Manchmal hört man Dialoge und die knisternde Tonspur alter tschechische Filme oder es läuft ein Programm für Kinder und Kindgebliebene, zumeist aber legt ein DJ vor ratlosen Gästen Techno auf. Heute spielten ein Gitarrist und ein Cellist, und einer von beiden sang, es klang so etwa wie melancholischer Folk, und es klang ziemlich gut. Ich blieb eine Weile stehen, um zuzuhören.
Mir kam die Idee, mir einen Platz im Park zu suchen, von wo aus man diese Musik noch hören könnte. Aber bereits ein Gebäude weiter war da nur noch der Lärm vom Lunapark, dessen Musik gewöhnlich zwischen Modern Talking und tschechischen Schlagern schwankt. Eine Sängerin schrie entschieden mehr als dass sie sang, und ihre penetrante Stimme war dermaßen unerträglich, dass sie selbst gegen den Wind noch weh tat, bis sich die verwaschene Melodie und die simplen Bässe in der Ferne auflösten. Dann begann eine etwas knödelige Männerstimme, man fühlt sich an die Inbrunst eines Biene-Maja-Soundtracks erinnert. Allerdings, und das muss jeden Passanten erschüttern, handelte es sich nicht um einen Kindersong oder eine Persiflage, sondern um bitteren Ernst. Und das auf einem Jahrmarkt … denn ich verbinde seit meiner Kindheit mit Jahrmärkten immer nur eingängige, wenn oft auch ein wenig dümmlich Ohrwürmer (“You spin me right round, baby right round like a record, baby, right round round round …”).
Dieses Stück Weg ist immer ein Purgatorium, und erst hinter der Bahnlinie, wo die Züge vom Bahnhof Holešovice nach Ústí, Děčín und dann Dresden und Berlin weiter fahren, herrscht dann endlich eine Ruhe, die dem Park angemessen ist. Dort hört man die Züge vorüber rattern, Jogger keuchen, Autos fahren in der Ferne, aber kein Gekreische mit Bässen.