Kürzlich wurde ich auf einen Beitrag aufmerksam, der den Titel “Principles For Living: An Operating System For Life” trägt.
Zunächst hatte ich das Gefühl, dass es sich dabei nur um allgemeine Aussagen handelt, die zwar wahr sind, aber auch nicht unbedingt revolutionär. Dann aber stellte ich überraschend fest, dass sie sich recht gut auf Budo (in meinem Fall vor allem Aikido und Jodo, aber auch andere, nicht mehr aktiv betriebene Budo-Arten) übertragen lassen.
Ich werde hier also versuchen, diese fünf Prinzipien auf den Bereich der Kampfkünste zu übertragen und zu schreiben, was mir dazu einfällt.
1. Richtung ist mehr als Geschwindigkeit
Mit vollem Tempo loszulaufen ist unsinnig, wenn die Richtung falsch ist.
Es ist daher auch unsinnig, sich bloß auf schnelle Erfolge zu konzentrieren. Wenn die Richtung stimmt, dann kommt man ans Ziel, oder zumindest an ein Ziel.
In manchen Budo-Arten geht es wirklich extrem langsam voran. Wer hier nur auf Geschwindigkeit achtet, der versperrt sich diejenigen Ziele, die nur mit Geduld zu erreichen sind.
Ich habe diese Aussage hier auf die Entwicklung und den Lernfortschritt bezogen. Vielleicht ließe sich aber auch sagen, dass Präzision und korrekte Ausführung einer Technik Vorrang haben vor der Geschwindigkeit. Natürlich ist auch die Geschwindigkeit wichtig, aber ich denke, dass sie durch wiederholtes Üben als zweites gesteigert wird, nachdem zuerst die “Richtung” erlernt wurde. Umgekehrt dürfte das nur sehr schwer, vielleicht sogar unmöglich sein.
Mir fallen da ein paar Leute ein, die versuchen, mit dem Schwert besonders schnell zu sein. Wenn ich sie sehe, habe ich oft den Verdacht, dass sie vor allem so schnell sind, damit niemand in der Lage ist, ihre Fehler zu sehen. Geschwindigkeit kann paradoxerweise also auch ein Hindernis sein, um voran zu kommen.
2. Würdigung des Augenblicks
In dem Originaltext geht es hier um bewusstes Leben, statt einfach nur die Zeit seines Lebens abzusitzen. In Budo sehe ich darin die Lehre, dass jeder Augenblick wichtig ist, um seine Fähigkeiten weiter zu entwickeln.
Selbst das Training mit einem Anfänger kann einen Fortgeschrittenen weiter bringen und selbst das Verhalten im Dojo ist ein Aspekt, der sich dann in der Technik niederschlägt.
Wenn man in extremer Zeitnot nur zehn Minuten lang ein paar Kihon durchgehen kann, dann sind diese zehn Minuten umso wichtiger. Umgekehrt stört es mich immer, wenn ich mit Leuten trainiere, die in einer Art Protesthaltung absichtlich schlampig werden – in der Technik, oder auch im Umgang miteinander. Auch wer die oft etwas langweilige Rolle des Angreifers übernimmt, sollte seine volle Aufmerksamkeit der Technik und dem Menschen gegenüber widmen.
Am schwersten ist die Einhaltung dieser Regel sicher bei Übungen, wo man lange Zeit immer die selbe Bewegung wiederholt. Nach einiger Zeit schweifen die Gedanken ab und man macht die Bewegung nur noch mechanisch wie ein Uhrwerk.
3. Bereitschaft zu lernen
Es ist nicht wichtig, recht zu haben, sondern die Sachen richtig zu machen.
Manchmal ist von einer bestimmten Demut die Rede, die für Budo unverzichtbar sei. Das interpretieren manche Leute dann so, dass sie sich andauernd verbeugen sollen. Aber ich verstehe darunter vor allem, sein Ego zurückzunehmen und immer bereit zu sein, sich zu korrigieren.
Das klingt einleuchtend, ist aber manchmal extrem schwer, besonders in einem Klima, wo Hierarchien viel zählen. Und das ist gerade im Budo oft der Fall, man denke nur an all die Titel und Zertifikate. Fortgeschrittene verteidigen ihr Ansehen und ihre Bequemlichkeit und Anfänger glauben, sie könnten mit ihren oberflächlichen Erfahrungen den Fortgeschrittenen Fehler nachweisen.
Fortgeschrittenen Budoka, die noch etwas anderes beginnen, haben oft Probleme damit, sich dort wieder unter den Anfängern zu befinden. Für viele Leute ist das sicher ein Grund, warum sie sich nie aus ihrem Bereich hinauswagen.
Vielleicht hat es damit nur indirekt zu tun, aber mir fällt bei diesem Punkt ein, dass ich zumeist in denjenigen Dojos am besten trainiere, wo am wenigsten geredet wird.
4. Prinzipien führen weiter als Taktiken
Es ist wichtiger, die Grundlagen zu verstehen, als einen Effekt zu erzielen. Natürlich lernt man auch dadurch, indem man Andere kopiert. Aber das ist nur der Beginn auf dem Weg zum eigenen Verständnis.
Verständnis lässt sich nicht mitteilen, Verständnis lässt sich nur erwerben. Teil des Verständnisses ist auch, dass man versteht, wie wenig vom Ganzen man eigentlich versteht, da sich mit zunehmender Erfahrung auch der Horizont erweitert.
Manche Leute lernen Budo-Techniken so, wie wenn man eine Fremdsprache als Ansammlung von Phrasen lernt. Da mag es auf jede Frage eine Antwort und für jede Lebenslage eine Phrase geben. Aber Auswendiglernen ist doch etwas anderes als Verstehen. Und das ist in Budo nicht viel anders.
5. Verantwortung übernehmen für eigene Taten und Entscheidungen
Natürlich geht es bei Verantwortung auch darum, dass man nicht seine Überlegenheit an einem Trainingspartner auslässt, der sich als “Übungsobjekt” zur Verfügung stellt, oder dass man als Lehrer nicht die unterlegene Stellung der Schüler ausnutzt, um sich an der eigenen Überlegenheit zu berauschen.
In dem Originaltext wird vor allem betont, dass man sich nicht die Möglichkeit verbauen soll, seine Fehler zu korrigieren. Das geht in die selbe Richtung wie die Bereitschaft zu lernen. Voraussetzung dafür ist natürlich zu verstehen, dass man Einfluss auf seine eigenen Handlungen hat. Positiv formuliert hat man die Möglichkeit, sie, falls nötig, zu verbessern.
Mir fallen bei dem Punkt Budoka ein, die für alle ihre Probleme eine Entschuldigung haben. Entweder haben sie heute lange gearbeitet, oder sie konnten nicht so oft trainieren wie andere, weil sie weiter weg wohnen, oder sie sind einfach alt. Natürlich spielen solche Faktoren eine Rolle und jemand mit altersbedingten Gelenkschmerzen trainiert natürlich anders als ein zwanzigjähriger “Gummimensch”.
Auch wenn sich viele gerne als Opfer der Umstände darstellen, steht am Anfang oft eine eigene Entscheidung. Wer zu weit wohnt, einen stressigen Beruf oder eine Familie hat, der hat sich zumeist an irgendeinem Punkt seines Lebens dafür entschieden. Oft ist es eine Frage der Prioritäten, sei es bewusst oder unbewusst. Das trifft nicht immer zu, aber doch häufig.
Es ist kein Problem, seine Prioritäten so oder so zu gewichten. Nur sollte man dann auch dazu stehen. Irgendwo hat man sich für eine schöne Wohnung und einen Beruf entschieden, der einem materielle Sicherheit im Alter bringt, aber im Gegenzug hat man einen langen Weg zum Dojo und wenig Zeit für das Training. Dann ist man im Budo eben um ein paar Stufen schlechter oder braucht ein paar Jahre länger. Man weiß es, also kann man auch schweigen und sich anstrengen, so gut es eben geht.
Foto: basic principle von andreas.klodt